WESER KURIER vom 12.11.2021

 

Anwohner aus drei Wohnstraßen klagen vorm Verwaltungsgericht gegen die Stadt

Jürgen Theiner

Bremen. Es geht um Grundsätzliches in einem Prozess, der am Donnerstag vor dem Verwaltungsgericht begonnen hat. Um die Balance zwischen den Rechten von Autofahrern und Fußgängern. Und letztlich um die Frage, wo eigentlich viele tausend Autos bleiben sollen, wenn es mal vorbei sein sollte mit der Duldung des aufgesetzten Parkens in vielen Bremer Wohnstraßen.

 

Prozessgegner sind die Stadtgemeinde Bremen und eine Gruppe von Anwohnern dreier Wohnstraßen in Findorff (Timmersloher Straße), der Neustadt (Biebricher Straße) und dem Viertel (Mathildenstraße). Die Kläger verlangen, dass die Verkehrsbehörde gegen Autofahrer einschreitet, die ihre Fahrzeuge zum Teil auf der Straße, mit der Beifahrerseite aber auf dem Fußweg – also aufgesetzt – parken. Auf dem Gehweg bleibe zu wenig Raum für Fußgänger und spielende Kinder übrig, argumentieren die betroffenen Hauseigentümer, die sich für das Gerichtsverfahren zusammengefunden haben.

Einer von ihnen ist Hubertus Baumeister. Der Rechtsanwalt aus der Mathildenstraße ärgert sich schon seit vielen Jahren über die Zustände vor seiner Haustür. 2016 trat er an das Amt für Straße und Verkehr (ASV) heran, eine Behörde, die zum Ressort von Verkehrssenatorin Maike Schaefer (Grüne) gehört. Doch dort machte man ihm keine Hoffnung auf Besserung. Das aufgesetzte Parken sei zwar anerkanntermaßen unzulässig und eine Ordnungswidrigkeit. Dieser Umstand allein erzwinge jedoch noch kein Einschreiten der Behörde, es gebe Ermessensspielräume. In einem letzten Bescheid vom Mai 2019 lehnte es das Amt für Straße und Verkehr ab, beispielsweise Halteverbotsschilder in der Mathildenstraße aufzustellen und so der Straßenverkehrsordnung Nachdruck zu verleihen.

„Rechte der Fußgänger eingeschränkt“

Nun reichte es Baumeister, er und seine Mitstreiter beschritten den Rechtsweg. Vor der 5. Kammer des Verwaltungsgerichts wurde der Sachverhalt am Donnerstag ausgiebig erörtert. Die Kläger argumentierten dabei nicht nur juristisch, sondern auch politisch. Ihr Anwalt Andreas Reich ging die Sache grundsätzlich an. Autofahrer und Fußgänger müssten sich den Straßenraum teilen. Der Gesetzgeber bestimme die notwendigen Spielregeln in der Straßenverkehrsordnung und lege fest, wo die jeweiligen Freiheiten der Verkehrsteilnehmer enden. „Wenn Autofahrer übergriffig werden, schränkt das die Rechte der Fußgänger ein“, sagte Reich. Es könne nicht länger angehen, dass das ordnungswidrige aufgesetzte Parken geduldet werde und Autofahrer meinten, sie hätten darauf eine Art Gewohnheitsrecht. Kläger Baumeister legte nach: Indem Polizei und Ordnungsamt seit vielen Jahren das aufgesetzte Parken ignorierten, habe „der Innensenator durch seine flächendeckende Untätigkeit eine neue Bremische Straßenverkehrsordnung geschaffen“.

Das Gericht bemühte sich um eine differenzierte Betrachtung des Sachverhalts. Zentral sei die Frage, ob die städtischen Behörden einen gewissen Ermessensspielraum beim Umgang mit dem aufgesetzten Parken haben, unterstrich Richter Jasper Lange. Ob die Verkehrsüberwacher also, salopp ausgedrückt, ein Auge zudrücken dürften. Diesen Spielraum auf Null zu reduzieren, wie es die Kläger für richtig halten, sei nur schwer vorstellbar. Schließlich seien die Gehwege trotz aufgesetzten Parkens noch benutzbar, wenn auch eingeschränkt.

Gut zwei Stunden lang wurden die Standpunkte zwischen den Prozessparteien ausgetauscht, dann machte die Vorsitzende der Kammer, Meike Jörgensen, diesen Vergleichsvorschlag: Die Straßenverkehrsbehörde stellt in den drei betroffenen Straßen für ein halbes Jahr Halteverbotsschilder auf. Anschließend wird ausgewertet, was diese Maßnahme gebracht hat. Die Kläger berieten sich kurz, lehnten diesen Vorschlag zur Beilegung des Konflikts dann aber ab. Aus ihrer Sicht bliebe damit weiter unklar, ob die Verkehrsbehörde zum Einschreiten gegen das aufgesetzte Parken gezwungen ist. Ebenso, wer die Einhaltung eines möglichen Halteverbots überwacht und bei Verstößen Sanktionen verhängt. Eine gütliche Einigung ist somit ausgeschlossen. Die Vorsitzende kündigte ein Urteil innerhalb der nächsten zwei Wochen an.

Durch alle Instanzen

Sollte die Kammer zugunsten der Kläger entscheiden, hätte dies Signalwirkung weit über die drei Straßen hinaus, in denen die Kläger leben. Denn in vielen Wohnstraßen der innenstadtnahen Stadtteile ist das aufgesetzte Parken ein Thema. Manche Anwohner nervt es, andere sind froh darüber. Würde die Straßenverkehrsbehörde vom Gericht zum Einschreiten verpflichtet, fielen zahlreiche Parkgelegenheiten weg, die zwar illegal, aber bisher faktisch vorhanden sind. Hubertus Baumeister ist sich der grundsätzlichen Bedeutung des von ihm geführten Rechtsstreits gegen die Stadtgemeinde bewusst. „Es geht um einen Kulturkampf“, spitzt er den Sachverhalt zu. Manche Autofahrer seien der Meinung, ihnen werde ein Menschenrecht genommen, wenn sie zur Einhaltung der Straßenverkehrsordnung angehalten werden. Solches Denken müsse überwunden werden. Er und seine Mitstreiter seien gewillt, den Konflikt durch die Instanzen zu tragen. Wenn nötig, bis zum Bundesverwaltungsgericht.

 

 

 

 

 

WESER REPORT vom 18.04.2021

  

 

 

TAZ vom 16.04.2021

 

Prostest Aktion für eine barrierefreie Domsheide


Mehrere Initiativen forderten am Donnerstag mit einer Protestaktion den Bremer Senat dazu auf, die Umsteigestation Domsheide barrierefrei zu gestalten. Dort kreuzen sich mehrere Straßenbahn- und Buslinien. „Es ist nicht länger hinnehmbar, dass die Wege zwischen den Haltestellen Balgebrückstraße und Domsheide insbesondere für Rollstuhlfahrer*innen, Menschen mit Kinderwagen oder Rollator zu lang, unübersichtlich und mühsam sind“, hieß es in einer Pressemitteilung. Derzeit liegen dem Senat zwei Pläne für die Umgestaltung des Knotenpunkts vor – die Initiativen fordern nun eine schnelle Entscheidung.

 

 

WESER KURIER vom 15.04.2021:

 

"Es muss schneller etwas geschehen"

Angelika Schlansky vom Fachverband Fußverkehr fordert eine Bündelung der Haltestellen an der Domsheide

 

Der Knotenpunkt Domsheide soll umgestaltet werden. Die zentrale Frage, wo die Haltestellen für Busse und Bahnen konzentriert werden, ist aber noch nicht geklärt. Was muss aus Ihrer Sicht passieren?

Angelika Schlansky: Das dauert alles viel zu lange, da muss mal etwas Dampf gemacht werden. Der Senat sollte sich endlich entscheiden, dass die Haltestellen an der Domsheide zusammengelegt werden. Die Pläne zur Umgestaltung liegen entscheidungsreif auf dem Tisch. Wenn wir eine Verkehrswende wollen, muss an dieser Stelle schneller etwas geschehen.

Was sind die Gründe für den stockenden Prozess?

Das weiß ich nicht. Da spielen sicherlich viele Faktoren eine Rolle. Aus 14 Varianten sind zwei in die engere Auswahl gekommen. Die eine Planung sieht die Haltestellen an der Balgebrückstraße und der Domsheide vor, die andere eine Bündelung der Haltepunkte. Es gab 2019 eine große Ausstellung zum Thema Umgestaltung und dann hat man lange nichts mehr davon gehört.

Was ist an dem Ist-Zustand so schlecht?

Für zahlreiche Fußgänger, Rollstuhlfahrer oder Kinderwagenschieber ist es sehr mühsam, von der Haltestelle Balgebrückstraße zur Haltestelle an der Domsheide zu gelangen. Zudem kreuzen sich an der Balgebrückstraße die Wege von Bussen, Bahnen, Fußgängern, Autos und Fahrradfahrern, was zu gefährlichen Situationen führen kann.

Was spricht dafür, die Haltestellen zusammenzulegen?

Es geht ums Prinzip: Die Umsteige-Situation verbessert sich dadurch wesentlich. Ein gut funktionierender öffentlicher Nahverkehr ist das Rückgrat der Verkehrswende. Dafür muss das Bus- und Bahn-Angebot attraktiv sein und das Umsteigen so einfach wie möglich gemacht werden. Wenn das Umsteigen bequemer wird, ist das doch für alle von Vorteil.

Was sagen Sie den Gegnern der Bündelungsvariante?

Ich verstehe die Gegenargumente nicht so ganz. Die Stränge der Straßenbahnschienen verlaufen ja sowieso an der Domsheide – also auch an der Glocke vorbei. Da bietet es sich an, hier auch die Haltestellen anzulegen, die sich jetzt noch in der Balgebrückstraße befinden. Das sollte Vorrang haben gegenüber der Vorstellung, dass hier Platz sein könnte für Kaffeehaus-Stühle, Tische oder so. Zudem ist ja ein schalldichtes Gleisbett vorgesehen, wodurch es weniger Lärmprobleme geben sollte. Die Straßenbahnen würden hier halten. Das wäre leiser, als wenn sie hier vorbeifahren.

Was muss an dem Haltepunkt noch passieren?

Auch städtebaulich muss etwas getan werden, damit sich die Wegebeziehungen und die Aufenthaltsqualität verbessern. Es sollte nicht nur eine Umsteigeanlage sein wie am Hauptbahnhof. Der Platz muss vernünftig ausgestaltet werden; Fußgänger sollten hier Vorrang haben. Sitzgelegenheiten und andere Elemente, die den Raum verschönern, sind ja nicht ausgeschlossen.

Einmal ganz allgemein: Wird in der Stadt Bremen genug für die Fußgänger getan? Oder ist es doch weiterhin die vergessene Verkehrsart?

Es gibt zwar derzeit keinen Fußgängerbeauftragten, aber es soll in Zukunft jemanden in der Behörde geben, der sich um diese Fragen kümmert. In Leipzig gibt es das bereits. In Bremen wird das noch vom Team Nahmobilität im Verkehrsressort mit abgedeckt. Die Förderung des Fußverkehrs ist allerdings nicht unbedingt eine Geldfrage, sondern eine Frage des Platzes.

Was sind die größten Probleme?

Was besonders stört, sind die aufgesetzt parkenden Autos auf den Bürgersteigen. Dagegen muss vorgegangen werden, das ist illegal und nicht verhandelbar. Und: Bremen hat anscheinend einen Horror vor Zebrastreifen. Ralph Saxe von den Grünen plädiert seit Jahren dafür. Es gibt so viel Bedarf an Zebrastreifen, vor Schulen, Kindergärten, Seniorenwohnanlagen, Supermärkten und vielen anderen Stellen. In Tempo 30-Straßen sind sie sicherer als an Straßen, auf denen Tempo 50 gefahren wird. Tempo 30 sollte also kein Argument dagegen sein.

Was für eine Aktion haben Sie an der Domsheide geplant?

Der Fachverband Fußverkehr startet diesen Donnerstag um 11 Uhr eine Aktion an der Domsheide. Zusammen mit anderen Verbänden und Initiativen – dem BUND, VCD, ADFC, Einfach Einsteigen und Behindertenverbänden – werden wir die Zusammenlegung der Haltestellen fordern und auf die Probleme aufmerksam machen.

Das Gespräch führte Pascal Faltermann.

 

WESER KURIER vom 15.04.2021: